Wie bereits berichtet, habe ich im vergangenen Jahr bei der Stiftung Neue Verantwortung in einem Projektteam zum Thema Organisationskultur mitgearbeitet. Unser finaler Policy Brief ist jetzt veröffentlicht und ich möchte hiermit ein paar für mich wesentliche Aspekte daraus zusammenfassen. Im Folgenden ist also eine gekürzte und für diesen Zweck leicht von mir bearbeitete Fassung unseres Arbeitsergebnisses zu finden. Ich empfehle aber natürlich eigentlich das gesamte Dokument zu lesen.
Wir haben uns im Team auseinandergesetzt mit der Frage, inwiefern ein Kulturkampf drohen kann zwischen alteingesessenen Mitarbeitern eines Unternehmens ("Corporate Residents") und den nachrückenden Jungen, von denen viele den so genannten Digital Natives angehören. Diese Digital Natives haben eine ganz eigene Kultur entwickelt, die sich in kulturellen Codes wie bestimmten Sprachausdrücken, Kleidungsstil und Konsumformen ausdrückt, die aber auch direkte Auswirkungen auf Arbeitsweise und Lebensziele haben.
Unter dem Eindruck, dass hier Kulturen kollidieren können, haben wir mit Hilfe von Experteninterviews in Unternehmen und Hintergrundgesprächen mit Wissenschaftlern und Politikern ein Positionspapier erarbeitet, das mit konkreten Handlungsempfehlungen abschließt. Zwei Megatrends
Digitalisierung der Arbeitswelt
Das 21.
Jahrhundert bringt fundamenta-le Veränderungen für Unternehmen mit sich. Die
Digitalisierung hat die Arbeitswelt erreicht - von elektronischen
Kom-munikationssystemen bis hin zur Virtualisierung gesamter Arbeitsprozesse.
Von Mitarbeitern wird erwartet, die vielfältigen digitalen Arbeitsweisen
anzunehmen und erfolgreich zu bewältigen. Besonders geeignet dafür sind die
Digital Natives. Sie sind mit der Digitalisierung aufgewachsen und begreifen
diese intuitiv.
Alternde Belegschaft
Diesem Trend
steht in Deutschland die demografische Entwicklung hin zu einer alternden Belegschaft gegenüber. Der Anteil
der jungen Bevölkerung in Deutschland nimmt weiter ab. Das Statistische
Bundesamt (2011) hat berechnet, dass der Anteil der 55- bis 64-jährigen
Arbeitnehmer in Deutschland von knapp 38% im Jahr 2000 auf über 58% in 2010
angestiegen ist – Tendenz weiter steigend.
Die Hauptakteure
Digital Natives
Mit dem Begriff
werden Personen be-schrieben, die einen intuitiven Umgang mit digitalen Medien
pflegen. Sie sind mit digitalen Medien aufgewachsen und benutzen diese
gleichermaßen intensiv im Arbeits- und Privatleben. Digital Natives werden in
der Literatur meist als Generation definiert (in den achtziger Jahren geboren)
. Zunehmend setzt sich allerdings eine weniger alterszentrierte Definition
durch, die die Digital Natives über ihre Werthaltung, kulturelle Eigenheiten
und Verhaltensmuster charakterisiert. Dazu gehört zum Beispiel ein neues
Verständnis von Privatsphäre sowie ein anderer Umgang mit Informationen oder
Kommunikationsformen.
Corporate Residents
Gegenpol der
Digital Natives im Unter-nehmen sind die Corporate Residents. Der Begriff
umfasst jene Mitarbeiter, die sich digitale Arbeitsweisen erst im
Erwachsenenalter beigebracht haben. Im Unternehmen haben sie
Schlüsselpositionen inne und waren über die letzten Jahre hinweg an der
Prägung kultureller Codes (etwa Kleiderordnung, Höflichkeiten) und unternehmensbezogener
Werte (etwa Leistungsprinzipien) beteiligt. Ihr Erfahrungswissen ist von hoher
Bedeutung für jedes Unternehmen.
Corporate Residents und Digital Natives sind generationell
geprägt, die Zugehörigkeit zum Mindset einer der beiden Subkulturen lässt sich
allerdings nur bedingt am Jahrgang ablesen.
Ein typischer ClashEin Arbeitsteam mit Digital Natives und Cor-porate Residents soll eine Lösung für ein drängendes Problem erarbeiten. Die Digital Natives erstellen ein gemeinsames Online-Dokument, sammeln Anregungen aus Netzforen und einigen sich schnell auf eine Lösung. Die Corporate Residents telefonieren in der Zwischenzeit mit Kollegen, diskutieren die Vorgehensweise in Meetings und arbeiten an einer detaillierten Lösung, deren Zwischenstand sie bei einem erneuten Treffen weiter diskutieren. Beide Gruppen sind sauer und fordern von der Projektleiterin, dass sie die jeweils andere Gruppe daran erinnern soll, sich “an die Absprachen zu halten”, und nicht eigenmächtig vorzugehen. Wenn das nicht möglich sei, dann würde man in Zukunft nicht mehr zusammen arbeiten wollen.
Gemeinsame Betrachtung im Unternehmen
Diese
verschiedenartigen Mitarbeitergruppen bedürfen und erhalten Aufmerksamkeit in
Wissenschaft und Praxis. Ein weißer Fleck ist bisher aber die gemeinsame
Betrachtung beider Gruppen. Denn beide unterscheiden sich hinsichtlich ihrer
typischen Verhaltensweisen, ihrer Werte und Einstellungen – kurz: hinsichtlich
ihrer Kultur.
In der
Arbeitswelt treffen die beiden
Zielgruppen aufeinander. Jede hat ihre jeweilige Rolle im Unternehmen; jede für
sich bringt einen Mehrwert. Aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit kann es aber zum
Clash kommen.
Beide Gruppen sind als Subkulturen ei-ner
übergeordneten Organisationskultur zu verstehen. Die Digital Natives geraten
freiwillig, teils unfreiwillig in die Position einer Gegenkultur. Im Gegensatz
zu neutralen Subkulturen, die ergänzend
zur Gesamtkultur existieren und höchstens in Bereichen Orientierung geben, die
von der Gesamtkultur nicht ausgefüllt werden, grenzen sich Gegenkultu-ren stark
von den Werten und Verhaltensweisen der Gesamtkultur ab. Generell aber passt
ein Nebeneinander verschiedener Subkulturen nicht in die traditionelle Idee
einer „starken“ Organisationskultur, die durch von allen Mitarbeitern geteilte
Werte und Verhaltensweisen gekennzeichnet ist.
Weitere Details und
Analysen zu den Interviewergebnissen finden sich im Policy Brief.
Handlungsempfehlungen
Die Ergebnisse der Interviews zeigen, dass
das traditionelle Bild einer einheitlichen und
konsistenten Organisationskultur angesichts gesellschaftlicher Veränderungen
nicht mehr zielführend ist. Ein Umdenken von Homogenität zu Heterogenität der
Organisationskultur(en) muss stattfinden. Ein Umdenken hin zu differenzierten
Organisationen mit verschiedenen Subkulturen. Das ist nicht zu verwechseln mit
einer ungesteuerten Koexistenz. Im schlimmsten Fall könnte es ansonsten zu
nicht kontrollierbaren Machtkämpfen und Ressourcenkonflikten kommen. Daher muss überlegt werden, in welchen
Bereichen Einstellungen und Verhalten von Organisationsmitgliedern
übereinstimmen müssen und in welchen Bereichen Unterschiedlichkeit sogar
erfolgsfördernd ist. Letztendlich geht es darum Ansatzpunkte zu identifizieren,
um die derzeitige Balance zwischen Reibungsverlusten und Mehrwert der
Zusammenarbeit von Digital Natives und Corporate Residents eindeutig in
Richtung Mehrwert zu steuern.
Die Hebel
Hierfür stehen - in Übertragung von Rathjes
„Kommunikationsdynamiken im internationalen Kontext“ - vier Hebel zur Verfügung: Anpassung und
Integration (fördern Übereinstimmung) sowie Abwehr und Hybridisierung (fördern
Unterschiedlichkeit). Werden diese gezielt
angestoßen, ergibt sich eine Managementstrategie zur Etablierung einer kulturell differenzierten
Organisation. Je zwei Hebel für Übereinstimmung und zwei für Unterschiedlichkeit
sind im Einzelnen:
Anpassung (führt zu Übereinstimmung):
Verhaltensweisen werden von der Unternehmensführung vorgegeben und sowohl von
Digital Natives als auch Corporate Residents eingefordert (Hierarchischer
Prozess; Akteur: Unternehmensführung)
Integration (führt zu Übereinstimmung):
Corporate Residents und Digital Natives treten in einen Aushandlungsprozess und
schließen Kompromisse bezüglich ursprünglich unterschiedlicher Verhaltensweisen
und Einstellungen (Teamprozess mit Unterstützung von Führungskraft; Akteur:
Team)
Hybridisierung (führt zu Unterschiedlichkeit):
Besonderheiten im Denken und Verhalten der Digital Natives oder der Corporate
Residents werden gefördert auch wenn sie nicht geteilt oder verstanden werden
(Anerkennung und Förderung durch Führungskraft; Akteur: Führungskraft)
Abwehr / Abwehrtoleranz (führt zu Unterschiedlichkeit): Digital Natives
oder Corporate Residenz können Verhaltens- und Denkmuster der anderen Subkultur
ablehnen, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen (Toleranz auf Team- und
Führungsebene; Akteur: Individuum)
Systeme
Zu jedem der Subsysteme eines Organisation lässt sich ein Hebel finden. |
Um konkret festzustellen, in
welchem Bereich die jeweiligen Hebel erfolgreich sind, bieten sich
Organisationsmodelle an, in die die in der Interviewstudie gewonnen
Erkenntnisse eingegliedert werden können. Organisationen bestehen aus dem
Zusammenspiel verschiedener in gegenseitiger Beeinflussung befindlicher
Systeme.[2] Es gibt
ein Zielsystem, dass die
Unternehmensziele und daraus abgeleiteten Teilziele umfasst, ein Struktursystem, das strukturgebende
Elemente wie Arbeitszeiten, Kommunikationswege oder Entscheidungskompetenzen
beinhaltet, ein Technologiesystem,
das aus Tools und technischem Wissen besteht, ein Aufgabensystem, das definiert welche Aufgaben und Teilaufgaben in
einer Organisation erfüllt werden, und schließlich ein soziales System, zu dem menschliche und zwischenmenschliche Inhalte
wie Fähigkeiten, Werte, Status, Interaktionen, Entlohnung und Führung gezählt
werden.
Mit Hilfe der Interviews haben
wir die Hebel den entsprechenden Systemen zugeordnet. Beispielhaft sei hier (im
Gegensatz zum Policy Brief je ein System für jeden Hebel herausgegriffen:
Anpassung
Struktursystem/ Entscheidungen:
Auf welcher Ebene und von wem Entscheidungen getroffen werden, also etwa Ressourcenverwendung
und Budget-Entscheidungen, kann und darf nicht zwischen kulturellen Gruppen
sondern ausschließlich über zuständige Gremien und Hierarchie-Ebenen getroffen
werden.
Integration
Technologiesystem/Tools:
Tools sind Techniken im weiteren Sinne - vom Whiteboard bis zum Online Kollaborationsdokument.
Um Reibungsverluste bei der Nutzung von Tools und Technik zu vermeiden müssen
sich DNs und CRs bereits im Vorfeld verständigen, welche Systeme sie im
Arbeitskontext nutzen wollen. Hier kann eine Gruppe die andere mit Reverse
Mentoring und ähnlichen Methoden von ihrer Tool-Landschaft überzeugen und
befähigen und der Organisation damit gezielt Weiterentwicklung und Kreativität
ermöglichen.
Hybridisierung
Soziales System/ Entlohnung und Beurteilung: Entlohnung
und Beurteilung beschreiben die Inzentivierungsformen - sowohl monetäre oder
nicht-monetäre Komponenten. Unternehmen sollten ihre formalen Prozesse
kultureller Differenzierung anpassen. D.h. in Vergütungsfragen und Vertragsverhandlungen
zielgruppenorientierte Möglichkeiten anbieten. So kann der Dienstwagen für CRs
neben einem hohen Weiterbildungsbudget oder Coaching für DNs bestehen. Die
Führungskraft hat hierbei moderative Aufgaben, um Missverständnisse oder gar
Missgunst zu vermeiden.
Abwehr
Soziales System/Status und Rituale: Status-Anreize
sind sehr unterschiedlich von Kultur zu Kultur und rufen oft gegenseitige
Ablehnung hervor. Unterschiede sind aber auf individueller Ebene auszuhalten -
vom High-End PC für den DN bis zum Exklusiv-Parkplatz des CR - auch wenn die
Meinungen über solche Status Symbole auseinandergehen. Führungskräfte können
hier Toleranz vorleben.
Fazit
Die Digital Natives kommen. Und dies hat Auswirkungen
auf die Organisationskultur, derenHeterogenität im Verhalten und Einstellungen
der Mitarbeiter zunimmt. Die Zusammenarbeit zwischen dieser neuen Mitarbeitergruppe
und erfahrenen Leistungsträgern in Unternehmen birgt ein Clash-Potenzial, aber
auch große Chancen. Durch die Arbeit im Projekt „Organisationskultur“ der stiftung
neue verantwortung wurde beleuchtet, welche Herausforderungen im Arbeitsalltag
deutscher Unternehmen wahrnehmbar sind und welche Hebel zur Verfügung stehen,
um differenzierte und erfolgreiche Organisationskulturen angesichts gesellschaftlicher
Veränderungen aufzubauen. Wenn ein Umdenken hin zu Heterogenität und
Wertschätzung der Vielfalt nicht nur in den Köpfen stattfindet sondern auch in
Führungsaufgaben übersetzt wird, sind Unternehmen befähigt, Corporate Residents
und Digital Natives eine kulturelle Heimat zu bieten und von deren Unterschiedlichkeiten
im Wettbewerb mit anderen Unternehmen zu profitieren.